„Wir treffen uns am Ausgang vom Bahnhof“, hatte Eva gesagt. Aber Peter konnte sie nirgends sehen. Wahrscheinlich wartet sie woanders auf ihn. Anstatt sie anzurufen, streckt Peter einfach seinen Arm mit dem Smartphone in der Hand in die Höhe, als ob er Eva zeigen wollte „hier bin ich“. Sie führt dieselbe Geste mit ihrem Smartphone aus und schon wird ihm der Weg zu Eva angezeigt.
Um die Verwendung komplexer Gesten ging es beim UX-Stammtisch am 23. Juni 2014. Raphael Okon, Interaction Designer und Dozent für Visuelle Kommunikation an der HS Hannover, stellte seine sehr umfangreiche Masterarbeit vor.
Ausgehend von der Idee des Embodiment, der Ansicht, dass sich mentale Konzepte (und Kognition im Allgemeinen) nur durch Beachtung der Körperlichkeit eines Organismus verstehen lassen, leitete Raphael eine Reihe von intuitiven Gesten ab. Wer zum Beispiel gefunden werden will, macht sich groß und hält eine Hand in die Höhe. Eine Handbewegung zum Körper dagegen ist mit dem Heranholen und Explorieren von Objekten assoziiert, während eine Handbewegung weg vom Körper eine schiebende und Distanz schaffende Geste darstellt.
Als zweiten großen Schritt entwickelte Raphael Algorithmen zur Gestenerkennung. Er nutze dazu die Daten der Beschleunigungssensoren des Smartphones, um die weltweit erste, komplett im Front-End (Browser) laufende Gestenerkennung zu realisieren. Wie gut das schon funktioniert, konnten die anwesenden UX-Interessierten anhand einiger Beispielgesten vor Ort mit Raphaels Smartphone ausprobieren.
Schon während der Präsentation entwickelte sich eine lebhafte Diskussion nicht zuletzt aufgrund der Komplexität des Themas. Angeregt durch den Vortrag tauschten sich die Teilnehmer des Stammtischs über weitere Fragen aus. Für welche Nutzungsszenarien bringt die Gestenerkennung einen echten Vorteil? Wann ist es nicht viel mehr als eine nette Spielerei? Werden Gesten die Bedienkonzepte ergänzen oder klassische Interaktionsmethoden verdrängen?
Raphael selbst war fasziniert davon, was sich im Bereich Gestenerkennung alles im letzten Jahr seit seiner Masterarbeit getan hat. Vielleicht werden wir uns schon bald an den Anblick scheinbar in die Leere winkender Evas und Peters gewöhnen.